Femurdefekt: Fehlbildung des Oberschenkelknochens

Beim proximalen Femurdefekt (engl. proximal femoral focal deficiency = PFFD) handelt es sich um eine seltene angeborene Fehlbildung, die den Oberschenkelknochen (Femur) vor allem an seinem oberen, dem Rumpf naheliegenden (proximalen) Ende betrifft. Sie tritt meist einseitig auf und kann von einer leichten Verkürzung bis hin zu einem vollständigen Fehlen des Knochens reichen. Je nachdem, wie stark die Fehlbildung bei Ihrem Kind ausgeprägt ist, können Achsfehlstellungen, Fehlbildungen im Bereich des Hüftknochens und Bewegungseinschränkungen in Hüft- und Kniegelenk vorliegen. Daneben kann bei Ihrem Kind, wie in mehr als der Hälfte der Fälle, das Wadenbein (Fibuladefekt) mitbetroffen sein.

Ursachen

Was eine Fehlbildung des Oberschenkelknochens verursacht, ist bislang ungeklärt. Die Fehlbildung kann ein Teil der syndromalen Erkrankung sein, eine erbliche (genetische) Ursache kann jedoch ausgeschlossen werden.

Symptome

Die Symptome Ihres Kindes hängen davon ab, wie ausgeprägt die Fehlbildung des Oberschenkelknochens ist und können von milden bis hin zu starken Beeinträchtigungen reichen. Anhand eines Röntgenbildes können wir die Fehlbildung mithilfe der Einteilung nach Aitken (Klassifizierung) in ihrer Ausprägung bestimmen, um die bestmögliche Therapie für Ihr Kind abzuleiten:​​​​

  • A: Die knöcherne Verbindung zwischen Oberschenkelkopf (Femurkopf) und Schaft ist vorhanden.
  • B: Der Oberschenkelkopf ist vorhanden aber ohne Verbindung zum Oberschenkelschaft (Femurschaft).
  • C: Der Oberschenkelkopf ist gar nicht oder nur teilweise vorhanden.
  • D: Nur der weiter vom Rumpf entfernte (distale) Anteil des Oberschenkels ist vorhanden, das Hüftgelenk (Hüftpfanne und Hüftkopf) existiert nicht.

Behandlungsmethoden

Die komplexe Behandlung eines fehlgebildeten Oberschenkelknochens bei Ihrem Kind richten wir danach aus, wie sehr die Beinlängen voneinander abweichen, wie stabil das Kniegelenk und wie beweglich die Hüfte ist. Auch das Alter Ihres Kindes berücksichtigen wir bei der Wahl geeigneter Therapien. Dabei kommen grundsätzlich konservative wie operative Maßnahmen in Betracht, meist in Kombination.

Konservative Behandlungsmethoden

Eine geringe Beinverkürzung können wir meist bereits durch eine Schuherhöhung ausreichend ausgleichen. Ist die Fehlbildung stark ausgeprägt, können wir die Beinlängen Ihres Kindes mithilfe verschiedener prothetischer Versorgungsmöglichkeiten angleichen. Sie kommen insbesondere dann in Frage, wenn der Oberschenkel Ihres Kindes vollständig fehlt, das eine Bein deutlich kürzer ist oder wenn eine operative Beinverlängerung nicht möglich oder nicht von Ihnen gewünscht ist. Die prothetische Versorgung passen wir unter Berücksichtigung des Alters individuell an Ihr Kind an, damit es möglichst selbständig laufen kann. Ergänzend unterstützen unsere Physio- und Ergotherapeuten Ihr Kind dabei, das Gehen zu lernen, die Selbständigkeit im Alltag zu trainieren.

Operativer Ausgleich der Beinlängendifferenz: Wachstumsblockade

Solange sich Ihr Kind noch in der Wachstumsphase befindet, können wir bei geringem Beinlängenunterschied lenkend eingreifen, indem wir das Wachstum des längeren (gesunden) Beins verlangsamen. Das Ziel ist, dass sich die Beinlängen im weiteren Verlauf nach und nach angleichen. Hierfür nutzen wir die Wachstumsfugen zwischen den Knochen im gesunden längeren Bein und blockieren diese vorübergehend, bis beide Beine annähernd gleich lang sind. Die unterschiedlichen Verfahren für eine operative Wachstumsblockade (Epiphysiodese) stimmen wir individuell auf Ihr Kind ab und besprechen die Möglichkeiten und den richtigen Zeitpunkt ausführlich mit Ihnen.

Operative Beinverlängerung: Marknagel (intramedullärer Verlängerungsnagel)

Um die Beinverlängerung bei Ihrem Kind millimetergenau und ohne äußerliche Fixierung vorzunehmen, setzen wir sogenannte Marknagelsysteme ein. Über mit hochmoderner Technologie ausgestattete Verlängerungsnägel, die in den betroffenen Knochen versenkt werden, lässt dieser sich mithilfe einer magnetgesteuerten Fernsteuerung schrittweise von außen verlängern. Die besonders schonende Methode ermöglicht es, dass Sie die Nachversorgung zu Hause selbst weiter durchführen können. Die weiteren Kontrollen werden ambulant in regelmäßigen Abständen durchgeführt. Der Marknagel kann so lange im Knochen verbleiben, bis die gewünschte Verlängerung (maximal acht Zentimeter) erreicht und die neu gewachsene Knochenstrecke stabil belastbar ist. Unter bestimmten Bedingungen eignet sich dieses Verfahren für Ihr Kind und wir beraten Sie dazu gerne ausführlich.

Operative Beinverlängerung: Fixateur Externe

Als Fixateur Externe wird ein Spannsystem bezeichnet, das mit Schrauben von außen über die Haut an mehreren Stellen in dem Knochen befestigt wird, der verlängert werden soll. Das System lässt sich so verstellen, dass der Knochen durch ein schrittweises Auseinanderdrehen der Stellschrauben nach und nach gestreckt und dadurch verlängert wird. Auch zusätzlich bestehende Achsabweichungen können darüber korrigiert werden. Das Spannsystem kann entweder ringförmig um das Bein liegend oder seitlich am Bein (monolateral) angebracht werden. Ob ein Fixateur Externe für Ihr Kind in Frage kommt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Hierzu beraten wir Sie gerne individuell.

Unsere Spezialisten

Dr. med.
Stephan Wieser
Facharzt Orthopädie und Unfallchirurgie, Spezielle Unfallchirurgie, Kinderorthopädie, Manuelle Medizin, Notfallmedizin, Sportmedizin

Therapiemöglichkeiten

Die physiotherapeutische Behandlung bei Patient:innen mit Femurdefekt erfolgt angepasst an den individuellen Befund und das Alter. Je nach ärztlicher Behandlungsmethode (konservativ oder operativ) kommen verschiedene Therapiemaßnahmen zum Einsatz.

Die altersgerechte Entwicklungsförderung findet durch neurophysiologische Behandlungsmethoden mit dem Schwerpunkt auf eine symmetrische, motorische Entwicklung statt.

Die Anpassung und Austestung der Orthese bzw. Prothese erfolgt in der Klinik in enger Zusammenarbeit von ärztlichem Dienst, Therapeuten und Orthopädietechnikern. Unsere erfahrenen Physio- und Ergotherapeuten unterstützen Ihr Kind zudem begleitend mit dem Ziel, einen möglichst alltagstauglichen Umgang mit der Prothese, z.B. Handling (An -und Ausziehen) zu entwickeln.

Beim Femurdefekt achten wir besonders auf die Beweglichkeitsverbesserung des Hüft- und Kniegelenkes, um negative Kompensationsmechanismen der Wirbelsäule zu vermeiden.

Bei unseren kleinen Patient:innen steht zunächst die Akzeptanz der Versorgung und das Aufstehen, Stehen, Seitwärtsgehen an Gegenständen bis zum freien Gehen sowie Sturztraining im Vordergrund.

Ab dem Schulkindalter gewinnt die intensive Gangschule mit der orthopädietechnischen Versorgung am Laufband bzw. mit oder ohne Gehhilfe an Bedeutung.  Das Behandlungsziel sollte die achsgerechte Vollbelastung des betroffenen Beines sein. Die intensivierten Maßnahmen umfassen zudem das Kraft- und Ausdauertraining unter dem Prinzip der Trainingstherapie sowie mobilisierende Maßnahmen.

Nach einer operativen Maßnahme stehen die Verbesserung der aktiven und passiven Beweglichkeit durch Manuelle Therapie, Kräftigungsübungen und Weichteiltechniken im Vordergrund.

Langfristig ist uns die Hinführung zu sportlichen Aktivitäten ein Anliegen, dies kann unter anderem Klettern, Tischtennis, Schwimmen oder Radfahren sein.

Haben Sie Fragen?

Ob Fragen über Behandlungsmöglichkeiten, Terminvereinbarungen oder Informationen über unsere Fördermöglichkeiten - wir beraten Sie gerne!

Wir sind für Sie da!